Offener Unterricht in der Grundschule

Eine Zusammenfassung aktueller Literatur und meiner eigenen Erfahrungen.
Bildungsauftrag der Grundschule
Veränderte
Kindheit
Lernforschung
Ziele
Reformpädagogik

Offener Unterricht

Inhaltliche Dimension
Methodische Dimension
Organisatorische Dimension
Einstieg
Grenzen
Einleitung Was ist Offener Unterricht?
Zunächst einmal ein Unterricht, der die Kinder mit ihren Lernmöglichkeiten und ihren Einstellungen, mit ihrer Begeisterung für die Sache in den Mittelpunkt stellt. (vgl.: W. Wallrabenstein „Offene Schule – Offener Unterricht“) Dabei ist der Begriff „offener Unterricht“ nicht klar einzugrenzen, es handelt sich nicht um ein ausgearbeitetes Konzept, sondern vielmehr um einen Sammelbegriff, der die unterschiedlichsten Reformansätze mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind vereinigt.
Gliederung Zur Veranschaulichung meiner Vorstellung von offenem Unterricht habe ich das obige Schaubild entwickelt, welches im weiteren Text erklärt werden soll. Daneben gibt es die Möglichkeit, über die farbigen Links weitere Informationen zu Teilthemen oder Stichwörtern zu erhalten. (Momentan nicht verfügbar)
Beginnen möchte ich dabei mit der veränderten Kindheit und der neueren Lernforschung, um damit exemplarisch einige Ausgangsbedingungen für den Unterricht an unseren Grundschulen darzulegen.
Veränderte Kindheit Die Veränderungen in der Gesellschaft in den letzten 30 Jahren, Stichwort „Wandel von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft“ verbunden mit einer Individualisierung der Lebensführung hat auch in der Kindheit zu zahlreichen Veränderungen geführt, auf die die Grundschule reagieren muß. Dazu gehört z.B.
  • die veränderte Familie, welche heute häufig durch eine Erwerbstätigkeit der Mutter geprägt ist, was zur Folge hat, dass die Kinder öfter auf sich alleine gestellt sind. Hier kann die Grundschule z.B. durch verbesserte Betreuungsangebote und einen offenen Beginn reagieren. (Zeitliche Offenheit)
  • die neuen Medien (Fernsehen), welche zum einen das Spielverhalten der Kinder beeinflussen, aber vor allem auch die Erfahrungswelt der Kinder verändern.
    Die Kinder erleben die Wirklichkeit immer weniger direkt, sondern zunehmend aus zweiter Hand und verlassen sich dadurch nicht mehr auf ihre Erfahrungen, sondern auf das Wissen aus dem Fernseher. Deshalb muss die Grundschule ganz bewußt das Handeln und Erfahren in den Vordergrund stellen, und nicht das Konsumieren. (Handlungsorientierung, Lernen mit allen Sinnen)
    (Hartmut v. Hentig „Die Schule neu denken“: Der heimliche Unterricht des Fernsehens hinterläßt das Bewußtsein: Was ich da miterlebe, ist enorm aufregend, enorm wichtig, enorm fürchterlich; mein Leben ist, daran gemessen, unbedeutend und langweilig; Der offene Unterrichtsauftrag der Schule lautet: die Erfahrung: Ich kann.)
  • das veränderte Spiel- und Freizeitverhalten
  • die multikulturelle Gesellschaft
Lernforschung Weiter muss die Grundschule auch die Erkenntnisse der aktuellen Lernforschung berücksichtigen, die heute einen sehr viel offeneren Lernbegriff vertritt. Dazu gehörte z.B. die Beachtung der 10 Gebote für gehirngerechtes Lernen (vgl.: Hans Schachl: Was haben wir im Kopf), die z.B. fordern, immer mehrere Sinne anzusprechen, da unser Gehirn einen Stoff besser behält, je mehr Sinne wir ansprechen.
Dies kann für den Sprachunterricht im 1. Schuljahr z.B. heißen, einen Buchstaben nicht nur zu schreiben, auszusprechen und in verschiedenen Wörtern wiederzufinden, sondern taktil mit Sandpapierbuchstaben zu fühlen, sensomotirisch mit dem Körper nachzubauen und vor allem auch emotional z.B. durch das Bauen von (Q)uallen zu erfahren. (Lernen mit allen Sinnen)
Ziele Die Erkenntnisse aus der Veränderten Kindheit und der aktuellen Lernforschung, verbunden mit einem (Bildungsauftrag für die Grundschule), welche nicht allein Unterrichtsstätte, sondern zugleich Lebens-, Lern- und Erfahrungsraum sein soll, in dem alle Kinder mit ihren unterschiedlichen Lernmöglichkeiten zusammen lernen können und wollen, führt auch zu erweiterten Ziele für einen offenen Unterricht:
Sachkompetenzen
  • lernen von bedeutsamen und sinnzusammenhängenden Inhalten, die der Lebenswelt und Lernfähigkeit der Kinder entsprechen
  • Lernen des Lernens (Vermittlung verschiedener Lerntechniken, welche den unterschiedlichen Lerntypen entsprechen)
    Selbstkompetenz
  • Erziehung zur Selbständigkeit (Aktivitäten planen, durchführen und auch abschließen)
  • Durchhaltevermögen
  • Selbstvertrauen
    Sozialkompetenz
  • Entwicklung und Entfaltung von Kooperationsfähigkeit / Arbeit im Team
  • Fähigkeit zur Konfliktbewältigung
--> sog. Schlüsselqualifikationen
Dimensionen Diese Ziele des offenen Unterricht werden in ‘drei Dimensionen der Offenheit’ verwirklicht, welche Ramseger und Wallrabenstein zur genaueren Eingrenzung des Begriffs ‘Offener Unterricht’ aufgestellt haben.
Inhaltliche Dimension Öffnung des Unterrichts für die Erfahrungswelt der Kinder: Unterrichtsthemen dürfen nicht nur aufgrund ihrer schulischen Notwendigkeit ausgewählt werden, sondern sie müssen sich auf die außerschulische Wirklichkeit beziehen. (Schule nicht Schonraum, der die außerschulischen Probleme und Erfahrungen außen vor lässt.) Der Unterricht muss für sämtliche Fragen des Lebens offen sein. In der offenen Schule soll für das Leben gelernt werden, nicht um ihrer selbst willen.
Dazu müssen
  • die Schüler die Möglichkeit haben, Einfälle und Themenverschiebungen mit einzubringen. (Schülerorientierung / Situationsorientierung)
  • die Schüler aus unterschiedlichen Lernangeboten frei auswählen können, wobei der Lernerfolg nicht nur durch reproduktive Leistungen, sondern vor allem durch entdeckendes und problemlösendes und sinnliches Handeln sichergestellt werden soll. (entdeckendes Lernen / Handlungsorientierung / Lernen mit allen Sinnen)
  • die Unterrichtsinhalte im Zusammenhang miteinander und zu ihrer Umwelt stehen. Das Thema soll in verschiedenen Perspektiven und Deutungen zum Tragen kommen, wobei auch fächerübergreifende Verknüpfungen stattfinden. (Fächerübergreifend)
Methodische Dimension Öffnung des Unterrichts für eine Beteiligung der Schüler an der Gestaltung und Planung: Das Miteinander-Umgehen aufgrund selbstentwickelter Regeln wird in der Vordergrund gestellt. Die biologischen und sozialen Erfahrungen und Eigenschaften der Schüler werden nicht als möglichen Störfall angesehen, sondern durch neue Lernformen in den Unterricht mit eingebaut. Der Schüler ist nicht Adressat vorgefertigter Lernpakete, sondern Agent seiner eigenen Lernprozesse.
Methodische Offenheit heißt also,
  • den Schüler als Lerner mit individuellen Lernvoraussetzungen zu akzeptiert. Dazu darf die Klasse nicht zum Gleichschritt gedrängt werden. (Differenzierung.)
  • den Schülern Raum lassen für Mitbestimmung und eigene bzw. gemeinsame Entscheidungen. (Soziales Lernen --> Auseinandersetzung mit sozialen Themen.)
  • durch Gesprächskreise sowohl die Verständigung der Kinder untereinander als auch die Eigenverantwortung, Selbsttätigkeit und Mitbestimmung zu fördern
  • durch gemeinsam aufgestellte Regeln das Zusammenleben zu ordnen und damit zu helfen, Lernerfolge sicherzustellen. (Regeln und Rituale)
  • dass eine ausgeprägte Sprach- und Schriftkultur herrscht. (z.B. freie Schreiben und Schreibkonferenzen.)
  • dass die Schüler auf anregende und abwechslungsreiche Arbeitsmaterialien zurückgreifen können.
Organ.
Dimension
Organisatorische Offenheit bedeutet die Schaffung eines deutlich strukturierten Tagesablaufes mit vielfältigen Organisationsformen innerhalb und außerhalb der Schule. Dazu bedarf es eines Schullebens, welches weit über das Verständnis von Schule als eine Institution zur reinen Wissensvermittlung hinausgeht --> Die Schule soll Lebensort für Kinder sein ( z.B. Feiern von Festen, Betreuungsmöglichkeiten).
Dies geschieht durch
  • eine räumliche Offenheit, in welcher der Klassenraum zur Lernlandschaft, die Schule zum Lebensraum und das Umfeld der Schule zum Erfahrungsraum wird.
  • eine zeitliche Offenheit, welche die unterschiedlichen Lerntempi der Schüler berücksichtigt und Raum läßt für individuelle Planung.
  • eine soziale bzw. personale Offenheit, in der Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam die Verantwortung für das Lernen tragen.
  • und durch die offenen Organisationsformen, denn offener Unterricht an sich ist keine neue eigene Unterrichtsform, sondern ein Prinzip (Jürgens: „Bewegung“) und wird erst durch offene Organisationsformen konkreter Unterricht.
    Zu diesen offenen Unterrichtsformen, die im Wechsel stattfinden sollten, gehören
    • der Wochenplan,
    • die Freiarbeit,
    • der Stationenbetrieb,
    • der Werkstattunterricht,
    • der Projektunterricht,
    • aber natürlich auch die Gesprächskreise, die ein wichtiger Bestandteil des offenen Unterrichts sind (Morgenkreis, Abschlußkreis, Klassenrat) und in dem die schulischen und außerschulischen Erlebnissen der Kinder berichtet und bei Problemen gemeinsam nach einer Lösung gesucht wird. In dem aber auch die Arbeitsergebnisse aus dem WP, der FA und dem PU vorgestellt und ausgewertet, und gemeinsam die weitere Unterrichtsgestaltung besprochen wird.
    Daneben gibt es natürlich immer wieder kurze Einheiten frontalen Unterrichts, der sich vor allem für die Einführung und Übung neuer Unterrichtsstoffe anbietet, da die sonst notwendige individuelle Einführung für jeden einzelnen Schüler z.B. im WP den Zeitrahmen des Unterrichts sprengen würde. Ob ein Stoff im Frontalunterricht oder aber durch geeignetes Material im WP, FA eingeführt werden kann, kann vom Lehrer nur individuell entschieden werden.
WP Die verbreitetste offene Unterrichtsform ist sicherlich der Wochenplan, welcher von vielen Lehrern als eine Möglichkeit zum Ausstieg aus frontalem Unterricht genutzt wird.
Wochenpläne stellen die Selbständigkeit und Individualisierung des Lernens in den Vordergrund. Dabei ist wichtig anzumerken, dass der WP von sich aus nur eine Organisationsform ist, die erst dann offen wird, wenn hier nicht nur reproduktive Leistungen (Mathearbeitsblätter mit bunten Hunden, bzw. Nacherzählung einer Bildergeschichte) sondern vor allem entdeckendes, handelndes und differenziertes Lernen gefördert wird. (Arbeit mit der Lernkartei; Suche nach rechten Winkeln in der Klasse). Dabei muss sich der WP mit der wachsenden Selbstständigkeit der Schüler weiterentwickeln, immer in Richtung Eigenverantwortung durch
  • Differenzierung
  • Wandel von vorschreibender zu anregender Form (z.B. Freies Schreiben)--> Aus Pflicht wird Selbstverpflichtung: mehr Wahl, weniger Pflicht. (Gefahr: einige Kinder können den Überblick verlieren)
  • zunehmende Mitbeteiligung der Schüler beim Aufstellen des Wochenplans. (Schwarzes Brett: Lehrer eher Lehrplan, Schüler eher Interesse; Lehrer hat das letzte Wort)
Stationen-
betrieb
&
Werkstatt
2 weitere Formen, welche die Selbständigkeit und Individualisierung des Lernens in den Vordergrund stellen, sind der Stationenbetrieb und die Werkstatt. Beide Organisationsformen sind kein Standartunterricht, sondern eine in Abständen auftretende Lernsituation, die sich durch ihre Kompakt besonders für Unterrichtsreihen anbieten, die nicht mehr im normalen Unterricht behandelt werden. Beide Formen haben eine bestimmte Anzahl von Aufgaben, die sich alle mit einem thematisch eingeschränkten Thema befassen, wobei sich ein Stationenbetrieb über mehrere Stunden erstreckt, eine Werkstatt über mehrere Wochen.
PU Im Gegensatz zu den oben beschriebenen offenen Unterrichtsformen stellt der Projektunterricht vor allem das gemeinschaftliche Lernen in den Vordergrund stellt. Hier bearbeitet die Klasse gemeinsam ein Gebiet, sie plant gemeinsam die Arbeit und führt sie dann auch gemeinsam aus, wobei sich dazu verschiedene Projektgruppen bilden. An Ende eines Projektes steht ein sichtbares Produkt (Videofilm, Ausstellung, Biotop.). PU halte ich deshalb für etwas Besonderes, da hier ein komplexes Thema gemeinsam behandelt wird und vor allem weil Pu immer zielgerichtet ist, d.h. es soll etwas Sinnvolles hergestellt werden.
Abschluß Abschließend sei anzumerken, dass keine der Unterrichtsformen alleine nur durch seine Organisationsform offen ist. Offenheit heißt auch immer, die inhaltlichen und methodischen Dimensionen zu berücksichtigen und zu integrieren.